Eine Bekannte von mir möchte eine Kinderarztpraxis aufmachen und das System ist absolut Banane. Vielleicht sollte man das politisch auch mal adressieren? Oder ich verstehe den genialen Schachzug dahinter nicht.
Wenn sie eine Praxis aufmachen würde, wo nur Privatpatienten zugelassen wären, könnte sie sofort loslegen.
Sie möchte aber aus überwiegend moralischen Gründen auch Kassenpatienten annehmen. Und jetzt kommt das Geficke.
Dafür braucht man einen Kassensitz, den bekommt man irgendwie von den Krankenkassen. Aber die sind limitiert. Angeblich herrscht in unserer Stadt schon eine Überversorgung an (Kinder-)Ärzten. Komisch, dass aber niemand mehr neue Patienten aufnehmen darf.
Jetzt müssen sie den Kassensitz von jemanden aufkaufen, der entweder aufhört oder eben Geld damit machen möchte, seinen Kassensitz zu verkaufen. In unserem Gewerbepark gäbe es eine Praxis, die will nur für den Sitz 600.000 €.
Also doch im Landkreis schauen. Dort gibt es ein paar Gemeinden, die alles dafür tun würden, dass sich da ein Kinderarzt ansiedelt. Aber nö, da gibts keinen freien Kassensitz. Der Landkreis ist angeblich mit 110 % überversorgt. Man müsste dort auch einen kaufen und hoffen, dass man den umziehen darf. Jemand paar Dörfer weiter bietet einen von seinen drei Kassensitzen an. Für den dritten Sitz hat er nicht mal eine Praxis offen, es interessiert aber niemanden. Also herrscht faktisch eine Unterdeckung, rechnerisch ist aber alles top versorgt.
Was ist denn das für ein beschissenes System? Entweder vergibt man die Lizenzen doch so wie bei den Taxen, dass der Höchstbieter die bekommt und die Krankenkassen daran verdient. Oder man macht offen für alle und die, die den besten Service bieten haben halt die meisten Patienten.
Aber den Krankenkassensitz in extremer Limitation kostenlos zu erhalten, ihn dann aber weiterverkaufen dürfen, öffnet doch Tür und Tor für alle negativen marktwirtschaftlichen Auswüchse?
Ursprünglich war der Gedanke wohl der, zu steuern, wo sich Ärzte niederlassen. Man wollte vermeiden, dass die sich alle in den Großstädten versammeln und die Versorgung auf dem Land wegbricht. Dass das nur semi-gut funktioniert weiß jeder, der mal als gesetzlich Versicherter versucht hat, zeitnah einen Facharzttermin zu bekommen.
Ursprünglich war der Gedanke wohl der, zu steuern, wo sich Ärzte niederlassen. Man wollte vermeiden, dass die sich alle in den Großstädten versammeln und die Versorgung auf dem Land wegbricht.
Als gäbe es nicht schon genug Gründe, Landleben abschaffen zu wollen, nehmen sie uns auch noch unironisch die Ärzte weg.
Der Kassensitz kommt nicht von der Krankenkasse, sondern von der kassenärztlichen Vereinigung. Das sorgt übrigens auch dafür, dass deine Krankenkasse dir nicht wirklich helfen kann wenn du keinen Arzt findest.
Die Planung der kassenärztlichen Vereinigung betrifft auch die Zukunft. Aktuell mag ein Mangel an Kinderärzten bestehen. Aber was ist in 18 Jahren? Dann sind die Kinder alle volljährig und die vielen Kinderärzte haben keine Patienten mehr und müssen verhungern…
Hast du ein /s am Schluss vergessen?
Stimmt, wir haben ja einen Geburtenstop. /s
Keine Radwege, keine Umweltschonung, keine Kinder! Wer brauche eine Zukunft schon, wenn die Vergangenheit so schön war?
So ist es, und die Mitglieder der kassenärztlichen Vereinigung sind natürlich die Kassenärzte. Die schaffen sich also ihr eigenes Monopol in dem sie dann einfach so überlaufen sind, dass sie langfristig mit hoher Patientenzahl und damit ausreichend Geld von der Kasse planen können.
Aktuell? Das Problem haben wir doch schon seit mindestens 15 Jahren, eher 20. Die Ärzte gehen ja auch alle in Rente!
Jetzt weißt du auch, warum wir so stark mit Fachpersonal für psychische Probleme unterversorgt sind, da läuft das nämlich genauso ab. Nur, dass man sich schon für die Ausbildung zum Psychotherapeut stark verschulden muss und damit ein Kassensitz noch unleistbarer wird.
Passend dazu: https://taz.de/Aufkauf-von-Arztpraxen/!5904628/
Das ist der eigentliche Skandal. Ich hau ab, wenn ich mit dem Studium fertig bin und der Scheiß immer noch nicht behoben wurde. Ich arbeite doch nicht 30% meiner Arbeitszeit für so einen Parasiten, welcher nichts dafür geleistet hat (außer den Kassensitz aufzukaufen) und mich unter Druck setzt möglichst viele unnötige Behandlungen durchzuführen.
Private Equity ist einfach etwas was die Gesellschaft nicht besser macht
Danke, mein Lieblingsthema, das Unwort Fachkräftemangel! Wir brauchen ganz dringend mehr Ärzte, damit noch mehr Ärzte auf Kassensitze warten oder sich auf die wenigen Stellen, in denen man nicht ausgebeutet wird, bewerben. Vielleicht sollten wir dafür Werbung im Ausland machen und nicht einmal die Bedingungen stellen, dass die importierten Fachkräfte bei der Patientenverpflegung deutsch sprechen müssen./s
Unter dem Gesichtspunkt noch irrwitziger, ja :-|
Wzf, das habe ich noch nie gehört. Was für ein dummes System. Soll doch jeder eröffnen können wie er will. Was gibt es denn da zu verlieren? Ist doch geil, wenn es mehr Auswahl gibt und die Ärzte vielleicht etwas konkurrieren müssen und ein gutes Angebot stellen, damit sie mehr Patienten bekommen. So sind doch ohnehin alle voll belegt und man muss sich null Mühe geben, bzw. kann am besten noch mehr abrechnen, wenn man alle Patienten einfach schnell durchschleust, ohne sich nur ein bisschen Zeit zu nehmen. Dass die Patienten sich dabei verarscht vorkommen und unzufrieden sind ist ja dann egal, sie können sich ja eh keinen anderen Hausarzt nehmen, wenn alle anderen Praxen auch schon keine neuen Patienten mehr aufnehmen. Echt geiles System.
Als junger Mensch eine Praxis zu eröffnen ist absolut verrückt. Wenn du die erste Stufe des bürokratischen Irrsinns hinter dir hast findest du in der Regel eine völlig veraltete Ausstattung vor und der ganze Klump muss erstmal rausgerissen werden, ggf. Ultraschallgerät etc. angeschafft werden und stehst dann erstmal zwischen sechs- und siebenstellig in der Kreide. Dann bist du des Weiteren Freiberufler, kassierst vielleicht mal 20.000€ im Monat aber zahlst deine Angestellten eben aus privater Schatulle. Keine beschränkte Haftung o. ä. Kein Wunder, dass es da attraktiv ist, sich einfach vom großen MVZ anstellen zu lassen …
MVZs sind ja per se erstmal nichts schlechtes und haben das Potential die medizinisch Versorgung zu verbessern. Man muss es halt nur richtig machen und genau das ist der Haken…
Das bescheuertste ist das Finanzinvestoren erlaubt wurde, Kassensitze aufzukaufen und damit MVZ zu betreiben. Die gehen nie in Rente, und fokussieren sich ausschließlich auf das was lukrativ ist. Dafür war das Kassensitzsystem nie ausgelegt. MVZ welche nicht den Ärzten die dort arbeiten gehören gehören verboten!
Wobei ich diese Zentren grundsätzlich für eine großartige Sache halte. Man müsste also aufpassen dass man die mit einer solchen Regelung nicht gefährdet, sondern im Gegenteil vielleicht sogar mehr davon bekommt. Die Immobilie vielleicht in kommunaler Trägerschaft, und die Gemeinde oder der Stadteil “bestellt” bei der KV die gewünschte Besetzung?
Welchen Vorteil bietet so ein Zentrum deiner Ansicht nach? Es gibt bereits jetzt Gemeinschaftspraxen, Ärztehäuser etc. Niemand hindert Kommunen daran, ebenfalls als Träger aufzutreten. Gibt es in einigen Orten sogar, viele haben darauf aber schlicht keinen Bock und jammern lieber über Ärztemangel
Ist da ein Unterschied zu Ärztehäusern? Ich dachte das wäre das Gleiche.
Ärztehäuser sind einfach nur Häuser/Immobilien die nur an Ärzte vermietet werden. Die haben aber häufig ihre eigene Praxis drin. Ich muss sagen ich bin auch ein großer Freund davon wenn ein Arzt selbst frei ist in seinen Entscheidungen, und nicht von extern Druck bekommt, dass er diesen Monat so und so viel Leistungen abrechnen muss, und so und so viel Lasik-OPs durchführen muss damit die Rendite für den Investor stimmt
Ist die Antwort, die KV zu verklagen?