Der Mindestlohn soll um 41 Cent steigen. Tom Krebs ist Teil der Kommission, die das entschieden hat. Er zeigt sich geschockt – und stellt die Arbeit des Gremiums infrage.
In der Nacht zum Montag hat die Mindestlohnkommission Vorschläge gemacht, denen die Regierung in der Regel folgt: Zum 1. Januar 2024 soll der Mindestlohn von heute zwölf Euro auf 12,41 Euro steigen und ein Jahr später auf 12,82 Euro. In der Kommission sitzen je drei Vertreter der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sowie die unabhängige Vorsitzende, derzeit Christiane Schönefeld, ehemalige Vorständin der Bundesagentur für Arbeit. Außerdem gehören der Kommission zwei Ökonomen ohne Stimmrecht an. Für die Arbeitnehmer ist das der Mannheimer Volkswirtschaftsprofessor Tom Krebs.
ZEIT ONLINE: Sie haben die Nacht über den Mindestlohn verhandelt und eben einen kritischen Twitter-Thread zum Ergebnis geteilt. Warum?
Tom Krebs: Ich bin schon etwas schockiert. Es war mit vier zu drei eine knappe Entscheidung. Die Arbeitnehmer haben dem Vorschlag nicht zugestimmt und die Kommissionsvorsitzende hat dann mit ihrer Stimme den Arbeitgebern zur Mehrheit verholfen. Die Kommission hat sich mit diesem Ergebnis weg vom Mindestlohngesetz bewegt, sie hat es eigentlich missachtet.
ZEIT ONLINE: Wie meinen Sie das?
Krebs: Im Gesetz steht als eines der Ziele der Mindestschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Demnach sollte der Lohn einer vollzeitbeschäftigten Erwerbsperson einen angemessenen Lebensstandard ermöglichen. Dieses Kriterium ist in die Entscheidung überhaupt nicht eingeflossen, die Arbeitgeberseite wollte darüber auch nicht reden. Man kann das aber nicht ignorieren, wenn es im Gesetz steht. Am Anfang war die Vorsitzende dafür noch offen. Am Ende hat sie aber keinen überzeugenden Vermittlungsversuch unternommen. Es standen dann de facto vier Arbeitgeber gegen drei Arbeitnehmer.
ZEIT ONLINE: Ein Streit betrifft die Frage, von welchem Mindestlohn die neuen Erhöhungen ausgehen. Sie sagen: zwölf Euro, weil der Bundestag den Mindestlohn im Jahr 2022 erhöht hat. Die Arbeitgeber sagen: 10,45 Euro, weil das der letzte Beschluss der Kommission war, also vor dem Bundestagsentscheid. Wie sehen Sie das?
Krebs: Die Entscheidung über zwölf Euro ist im Dezember 2021 mit dem Koalitionsvertrag der Ampel getroffen worden, also vor den unerwartet hohen Inflationsraten 2022. Die Erhöhung auf zwölf Euro kam also nicht, um die Inflation im Jahr 2022 auszugleichen. Diese Interpretation ist absurd.
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ZEIT ONLINE: Wie würde eine bessere Kommission aussehen?
Krebs: Dieses drei zu drei mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist im Rahmen des deutschen Systems der Sozialpartnerschaft schon sinnvoll. Aber es gibt ohnehin eine EU-Richtlinie zum Mindestlohn, die die Lage hoffentlich verbessern wird. Deutschland hat sich verpflichtet, sie bis Ende 2024 umzusetzen. Nach der international üblichen Interpretation der Richtlinie muss der Mindestlohn bei 60 Prozent des mittleren Lohns, also des Medianlohns, von Vollzeitbeschäftigten liegen. Damit kommen wir dann so oder so auf einen Betrag von circa 14 Euro im Jahr 2024. Das Bundesarbeitsministerium sollte jetzt daran arbeiten, dass diese Richtlinie möglichst schnell umgesetzt werden kann.
ZEIT ONLINE: Ein zu hoher Mindestlohn kann Jobs kosten. Ab wann besteht diese Gefahr?
Krebs: Ich habe mit einem Doktoranden im Jahr 2021 makroökonomische Simulationen durchgeführt. Damals haben wir bei zwölf Euro keinen nennenswerten negativen Beschäftigungseffekt gemessen. Erst ab etwa 13 Euro könnte es Probleme geben. Nun muss man die aktuelle Inflation berücksichtigen, danach würde es heute wohl ab 14,50 Euro kritisch werden. Natürlich sind solche Berechnungen immer mit viel Unsicherheit behaftet. Aber andere Evidenz haben wir nicht.
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